Zur Theatralität und Ironie der Rosetta-Szene und ihrer ästhetischen Funktion in Georg Büchners "Leonce und Lena"
Grazzini Serena
2025-01-01
Abstract
In Büchners Leonce und Lena stellt die Rosetta-Szene (I,3) den Höhepunkt des Lustspiels in puncto der Künstlichkeit und der theatralischen Ironie dar. Leonce spielt hier das Theater der Liebe und inszeniert die Begegnung mit seiner Geliebten als eine paradoxe Veranstaltung, die er auch ästhetisch goutiert. Er ist zugleich Regisseur, Schauspieler und Rezipient dieses Moments, in dem nichts dem Zufall überlassen wird. Diese Theatralisierung der Liebesbegegnung erzeugt eine doppelte ästhetische Distanz: Auf der einen Seite verhält sich Leonce ironisch distanziert zu dem, was er macht und sagt, auf der anderen legt das Lustspiel diese Selbstinszenierung des Prinzen bloß und baut eine eigene Distanz zu der Perspektive der Figur auf. Durch die auktoriale Ironisierung von Leonces Ironie geht nämlich das Lustspiel nur bis zu dem Punkt mit seiner Hauptfigur einher, wo es es sich schließlich gegen diese wendet. Die ganze Szene steht offensichtlich unter dem Zeichen eines ostentativen Nihilismus und stark und durch intertextuelle Bezüge unmittelbar erkennbar sind ihre Parallele zu Danton’s Tod. Die Ähnlichkeiten münden jedoch nicht in die Identität des theatralischen Projektes: Indem Leonce und sein Nihilismus komisch karikiert werden und das Pathetische des Revolutionsdramas in das ‚Falsett der Komödie‘ (Zagari) umkippt, schlägt Büchner in Leonce und Lena einen neuen Weg ein, wodurch ein Abstand zu den in Danton’s Tod erprobten ästhetischen Positionen gewonnen wird. Der Komisierung des Nihilismus entspricht zwar keine grundlegende Negation desselben, durch Komik werden jedoch die Konsequenzen, die Leonce, so wie vor ihm Danton, aus seiner nihilistischen Sichtweise zieht, einem kritischen ästhetischen Blick ausgesetzt. Darin liegt Büchners besonderes Angebot an Erkenntnis durchs Theater und durch Komik. In diesem ironischen Spiel mit dem Nihilismus und seinen Inhalten begibt sich Büchner allerdings auf eine ästhetische Gratwanderung und betritt einen Boden, der sich für das Gelingen der Komödie als unsicher erweist. In der Rosetta-Szene, so wie im darauffolgenden Monolog des Prinzen greift er nämlich auf Situationen und Motive, die in seinem Werk zentrale Bedeutung aufweisen. Leonce ist deren Sprachrohr, in gleicher Weise ist er aber auch deren komische Karikatur. Dies führt dazu, dass die erste Hälfte von I,3 von einer gewissen ästhetischen Unentschiedenheit bedroht ist, der Büchner durch die Valerio-Figur auszuweichen versucht. Hierin ist auch der Grund zu erkennen, warum die Rosetta-Szene bei vielen Interpreten eine gewisse Verlegenheit geweckt hat, die nicht selten zu einer moralischen Auslegung (und Verurteilung) von Leonces Aufführung veranlasst hat. Der Vortrag präsentiert den Versuch eines anderen Ansatzes: Ohne die moralischen Implikationen des Verhaltens des Prinzen abstreiten zu wollen, wird eine ästhetische Analyse der Szene und ihres Zusammenhangs mit dem ganzen Stück vorgenommen, wobei das Augenmerk überwiegend auf die verschiedenen Ebenen des hier skizzierten theatralischen Spieles gelenkt wird. Der Fokus auf die Ironie und auf die komischen Widersprüche, die sie im Falle von Leonce produziert, im Falle des Lustspieles aufdeckt, vermittelt Einsicht in die Gründe und Ergebnisse von Büchners ästhetischem Wagnis Leonce und Lena, und allgemein in die Erkenntnisfunktion, die er dem Theater zuschreibt.File in questo prodotto:
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